„DA SICH KINDER NOCH IN DER ENTWICKLUNG BEFINDEN, WIRKEN SICH EXTERNE UMWELTFAKTOREN BESONDERS STARK AUF IHRE GESUNDHEIT AUS."

Amand Führer, Sozialmediziner

Es ist Frühjahr 2021, wir fahren mit unseren Rädern durch die Stadtviertel von Halle (Saale). Von Einfamilienhäusern in Kröllwitz vorbei an Altbaufassaden im Paulusviertel führt uns der Weg durch Plattenbausiedlungen in Halle-Neustadt zu weiten Flächen und Wohnblöcken in die Silberhöhe. Hier kennen wir uns kaum aus – zwei von uns sehen dieses Viertel zum ersten Mal. Warum sind wir hier?

Im Rahmen des journalistischen Projekts Diagnose:Unsichtbar beschäftigen wir – drei Studentinnen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenbergr – uns damit, wie sich soziale Ungleichheit auf die Gesundheit eines Menschen auswirkt. Dabei weckt eine Studie von Karoline Wagner zum Thema Kindergesundheit unser Interesse: Kinder, die in einem sozial benachteiligten Raum wie Silberhöhe oder der südlichen Neustadt aufwachsen, sind häufiger gesundheitlichen Risikofaktoren ausgesetzt und von Entwicklungsverzögerungen betroffen. Während wir beginnen, intensiver zu zu recherchieren, wie soziale Umstände die Gesundheit von Kindern beeinflussen, merken wir, wie ungleich verteilt die Voraussetzungen sind: In Deutschland haben 15 - 20% der Kinder deutlich schlechtere Gesundheitschancen. Vor allem Heranwachsende, die in armen Verhältnissen leben, sind häufiger krank oder zeigen psychische Auffälligkeiten. In Halle ist die Kinderarmutsquote besonders hoch.
Wie gesund ein Kind aufwächst, hängt dabei natürlich nicht allein davon ab, wie viel Geld seine Eltern zur Verfügung haben. Auch mit wie vielen Geschwistern es zusammenlebt, ob es eine Kita besucht, regelmäßig frühstückt, was es isst und ob genügend Grünflächen und Spielplätze in seiner Nähe sind, wirken sich neben weiteren Faktoren darauf aus. Um besser verstehen und aufzeigen zu können, wie unterschiedlich Kinder in den Stadtvierteln leben, sprechen wir zunächst mit sogenannten Sozialraumpartner:innen. Diese haben durch ihre Arbeit innerhalb der Viertel Einblick in die Lebenswelten der Kinder: Nancy Wirth vom Kinderschutzbund Blauer Elefant in Silberhöhe, Nicole Niemann, die über die Freiwilligen-Agentur ehrenamtliches Engagement in Halle koordiniert und Johanna Ludwig, die Quartiersmanagerin von Halle-Neustadt. Auch mit dem Sozialarbeiter der Johann-Christian-Reil-Schule in Giebichenstein, Winfried Müller, dem Sozialmediziner Amand Führer sowie eine:r weiteren anonymen Sozialraumpartner:in unterhalten wir uns. Zusätzlich sind wir selbst in den Vierteln unterwegs und nehmen mit einer analogen Kamera auf, wie wir die Lebenswelten wahrnehmen.
Das entstandene Projekt zeichnet beispielhaft unterschiedliche Lebensräume von Kindern nach und basiert auf Erkenntnissen aus der Wissenschaft, den Expertisen unserer Gesprächspartner:innen sowie der eigenen Feldforschung. Uns ist bewusst, dass die Sozialräume der Heranwachsenden sehr divers und ihre Erfahrungen individuell sind. Das Projekt soll daher lediglich die Tendenzen und Problemlagen darstellen, denen Kinder auf unterschiedliche Weise in den Stadtvierteln von Halle ausgesetzt sind.
Wohnhäuser Paulusviertel: Sanierte Altbaufasaden. In Kontrast zu Plattenbauten, Halle-Neustadt: 
              in Rot- und Blautönen gestaltetem Plattenbau mit Balkonen.
Schnellimbiss, S-Bahnhof Silberhöhe: Frontalansicht eines Schnellimbiss mit „Is mir Ejal“-Aufschrift und Angebotstafel für Currywurst und Hamburger. 
              In Kontrast zu  Bioladen Himmel & Erde, Giebichenstein: Schaufenster eines Bioladens mit Biolimonaden, Kaffee-, Kuchen- und Tagessuppenangebot.

„WENN MAN SICH EINE WOHNUNG IN EINER PLATTENBAUSIEDLUNG VORSTELLT, IN DER SICH DREI ODER VIER KINDER EIN ZIMMER TEILEN IST DAS NICHT IDEAL.

Nancy Wirth, Kinderschutzbund Halle
Rebatz Kiosk, Halle-Neustadt: Eisaufsteller und CocaColaschriftzug am Kiosk - 
            graue Plattenbaufasade im Hintergrund. In Kontrast zu Eiscafé Vanille, Paulusviertel: Eiswimpel und rote Markise an Altbaufasade.
Spielplatz, Kröllwitz: In der Natur gelegner Holzspielplatz mit Schaukel und Sandkasten. 
            In Kontrast zu Spielplatz, Halle-Neustadt: einem Spielplatz zwischen Plattenbau, auf dem ein Kind auf einem Karussell steht.
Skatepark beim Blauen Elefanten, Silberhöhe: Betonfläche - im Vordergrund abgeschlagener Flaschenhals eines Softdrinks, 
              im Hintergrund Bäume, ein gelbes Haus und Kinder im Skatepark. In Kontrast zu Blick in einen Garten, Kröllwitz: einer Schaukel 
              in Mitten von blühenden Büschen und grünem Gras.

„WENN KINDER IM EIGENEN UMFELD REGELMÄßIG COLA UND CHIPS KONSUMIEREN, ENTSTEHT EIN GRUPPENEFFEKT, DER SICH AUF DAS ERNÄHRUNGSVERHALTEN AUSWIRKT: ICH MÖCHTE DAS AUCH, WAS DER HABEN DARF."

Johanna Ludwig, Quartiersmanagerin Halle-Neustadt
Café Rosenburg, Giebichenstein:
            Eine vollgesprayte Hauswand mit Blumenkästen an den Fenstern und einer Markise in Pastelltönen. 
            In Kontrast zu 
            Sozialkaufhaus, Halle-Neustadt:
            Ein Mann mit Plastiktüte in der Hand geht auf das Sozialkaufhaus zu. Auf die Straße sind mit Kreide Abstandsmarkierungen aufgemalt, im Hintergrund sieht man hohe Plattenbauten.
Ein Kaugummiautomat vor einer blau/weißen Hauswand in Halle-Neustadt.
            In Kontrast zu
            Aufbewahrungsbehälter für Süßigkeiten im Unverpackt-Laden am August-Bebel-Platz.

„IM PAULUSVIERTEL PRÄGEN DIE ELTERN DIE FREIZEIT IHRER KINDER MIT. SIE MACHEN VORSCHLÄGE UND KÜMMERN SICH UM SPORTLICHE UND MUSIKALISCHE AKTIVITÄTEN."

Winfried Müller, Schulsozialarbeiter Reil-Schule

„OFT FALLEN DEFIZITE ERST AUF, WENN DAS KIND IN DIE SCHULE KOMMT UND MITARBEITENDE SAGEN: HIER STIMMT ETWAS NICHT. DAS KIND KANN NICHT GUT LESEN UND SCHREIBEN, DIE ELTERN KOMMEN NICHT ZUM ELTERNABEND..."

Ein Skatepark in Halle-Neustadt - 
            Bild 1: Bunte Inline-Skates liegen zurückgelassen auf dem Gehsteig.
            Bild 2: Aus der Ferne sind zwei Jungs auf Rollern und eine Mauer mit Graffitifiguren zu sehen.
In Kontrast zu Grellstraße, Kröllwitz -
            Bild 1: Auf einem Mauervorsprung steht eine Karton mit Kinderbüchern und der Aufschrift „Zu Verschenken“.
            Bild 2: Eine Person hält ein aufgeschlagenes Kinderbuch in den Händen. Darin wird die Geschichte eines kleinen Bären und seinen Eltern erzählt.

„MAN MERKT, DASS KINDER AUS FAMILIEN MIT HÖHEREM BILDUNGSNIVEAU ENGAGIERTER AGIEREN, PROJEKTE DURCHFÜHREN UND SICH IN DER SCHULE MEHR BETEILIGEN.”

Sozialraumpartner:in, anonym
Kulturzentrum Grüne Erde:
            Zwei kleine Jungs fahren auf Rollern einen Gehweg im Park entlang.
            Sie sind von hinten und in Bewegung fotografiert.
In Kontrast zu Tanzschule STEP1, Paulusviertel:
            Durch einen Zaun blickt man auf ein Fahrrad, auf dessen Sattelschutz kleine rote Erdbeeren abgebildet sind.
            Im Hintergrund weht eine bunte Girlande mit Fähnchen.

„HALLE-NEUSTADT HAT DEN VORTEIL, DASS KINDER HIER UNBESCHWERT HERUMTOBEN KÖNNEN. ICH WEIß NICHT, OB DAS IM PAULUSVIERTEL PASSIERT, WEIL DER STRAßENRAUM DORT WENIG HERGIBT."

Johanna Ludwig, Quartiersmanagerin Halle-Neustadt
WAS DU HIER SIEHST,
IST NOCH NICHT ALLES...
Ausgangspunkt unserer Arbeit ist eine Studie der Doktorandin Karoline Wagner zum Thema Kindergesundheit in Halle. Sobald die Ergebnisse ihrer Studie öffentlich sind, findest Du an dieser Stelle unseren Textbeitrag. Du erfährst, wie unterschiedlich die Lebensrealitäten von Kindern in Halle aussehen und wie sie ihre Gesundheit beeinflussen.